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1976 - Karsten Krampitz im Gespräch
(Verlagstext / Verbrecherverlag) Es hätte so schön sein können: Vor vierzig Jahren wurde der Palast der Republik eröffnet. Bei den Olympischen Sommerspielen in Montreal errang die DDR vierzig Goldmedaillen, der »Arbeiter- und Bauernstaat« war zur olympischen Weltmacht aufgestiegen. Erich Honecker löste Willi Stoph im Amt des Staatsratsvorsitzenden ab und war nun auch nominell der erste Mann im Staat. Und doch war das Jahr 1976 eine Zäsur in der Geschichte der DDR. Ein Erosionsprozess nahm seinen Anfang, der schließlich den SED-Machtapparat einstürzen ließ.
Denn Erich Honecker hatte im Frühjahr nichts Besseres zu tun als eine Anthologie zu verbieten: »Berliner Geschichten «, herausgegeben von den Schriftstellern Ulrich Plenzdorf, Klaus Schlesinger und Martin Stade. Evangelische Bischöfe stritten über das Parteiprogramm der SED im Vorfeld des IX. Parteitags. In Ostberlin ätzte Santiago Carrillo gegen Breschnews Betonkommunismus – und im SED-Zentralkomitee zeigte man sich entsetzt, ob der »unqualifizierten Ausfälle« des spanischen KP-Chefs. Dennoch wurde Carrillos Rede ungekürzt im Neuen Deutschland gedruckt.
1976 starben zwei Menschen an der Grenze: Michael Gartenschläger, ein freigekaufter Ex-Häftling, der innerhalb eines Monats dreimal an dieselbe Stelle der Grenze gegangen war, um dort Selbstschussapparate abzumontieren, und Benito Corghi, ein italienischer Fernfahrer, der von einem DDR-Grenzer am Grenzübergang erschossen wurde. Doch anders als Gartenschläger war Corghi kein »Provokateur«, vielmehr ein Familienvater, der seiner Arbeit nachgehen wollte und noch dazu Mitglied der Kommunistischen Partei Italiens war. Am 18. August geschah das Unvorstellbare: Auf dem Marktplatz in Zeitz übergoss sich der Pfarrer Oskar Brüsewitz mit Benzin und zündete sich an. Drei Monate später wurde Wolf Biermann ausgebürgert und Robert Havemann unter Hausarrest gestellt.
Karsten Krampitz, Schriftsteller und Historiker, liefert mit »1976. Die DDR in der Krise« einen profunden Beitrag zur Aufarbeitung der Aufarbeitung – ohne Verklärung und ohne Dämonisierung der DDR.
Linie 206
Im ehemals besetzten Haus und Wohnprojekt Linienstraße 206 sind gestern auf Weisung der Eigentümer zwei Wohnungen geräumt worden. Am Abend gab es deswegen eine spontane Demonstration mit 500 Leuten durch Mitte/Berlin. Wir reden mit Hausbewohnern der Linie 206 über den Hintergrund der Räumung und wie es nun weitergeht.
Musik
- Hammerhead - Hier Gehts Da Lang
- Albrecht Schrader - Leben in Der Großstadt
- Isolation Berlin - Alles Grau
- Alte Sau - Besitz
- Das Flug - Auto
Radia Obskura
Freies Radio kann sich, muss sich aber nicht lokal verorten. Wir senden gleichzeitig in Berlin/Potsdam, Hamburg und Halle. Diese Kooperation ist bisher auf dem Feld der Freien Radios einmalig. Und unbedingt ausbaufähig.
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